Alasdair Betet
"Liadein! Mädchen! Wo ist nur meine Nichte?" Hatte Alasdair wieder zu tief in den Weinschlauch geschaut? Der alte Mann scheinte zumindest relativ nüchtern. Liadein fand ihren Onkel schon immer etwas beängstigend. An seine rauhe Umgangsform hat sie sich nach all den Tagen immer noch nicht gewöhnen können. Liadein ist im Allgemeinen sehr behütet aufgewachsen. Vor dem, erm, Vorfall zumindest.
"Hier, Onkel. Was gibt es denn?", antwortete sie schließlich. "Ah, Liadein. Meine Liadein. Setz dich doch einen Moment zu mir." Sie wagte nicht zu widersprechen. "Du kennst dich doch mit übernatürlichem aus, richtig?", fragte der alte Mann. "Nun, ich bin Chauntea sehr nahe.", sagte sie. "Und du bist so fern von allen Göttern wie niemand anders den ich kenne.", hätte sie gerne nachgesetzt, biss sich jedoch noch rechtzeitig auf die Zunge.
"Hast du auch manchmal, du weißt schon. Siehst du, äh, Dinge?", stammelte Alasdair. Liadein blinzelte eben mit den Augen. "Bitte was? Ja, ich kann sehen." Muss doch der Wein gewesen sein, denkt sie sich. Alasdair setzt fort, "Nein. Ja. Ich meine, hast du Visionen?" "Nun, manchmal zeigt mir die Große Mutter Dinge oder Orte von Bedeutung. Es ist nicht immer ganz klar, was sie damit meint, aber ich habe gelernt die Zeichen zu interpretieren."
"Ah, ein Experte.", sagte Alasdair nachdenklich. Und bevor Liadein widersprechen konnte, brach es aus ihm heraus und er griff sie am Kragen. "Du musst mir helfen, Mädchen, ich sehe tote Menschen und Orks und Kobolde, na ja Kobolde nicht mehr, zumindest keine toten, sie reden mit mir, es hört gar nicht mehr auf, dabei habe ich ihn doch gar nicht umgebracht, glaube ich zumindest, sie kommen jede Nacht, ich finde gar keine Ruhe mehr, es macht mich völlig wahnsinnig, ich will endlich wieder schlafen können ohne dass mich einer von denen wieder zulabert, oder Blitze schmeißt, oder seinen Kopf gegen den Baum schlägt, die ganze Nacht, hilf mir, mach dass es aufhört!" Liadein schaute ihn mit großen Augen an. Doch nicht der Wein. Er verliert den Verstand! Alasdair merkte nun, dass er die arme Liadein völlig durchgeschüttelt hatte und ließ langsam ihren Kragen los, und sprach, "Verzeihung, Mädchen. Das wollte ich nicht. Was ist nur in mich gefahren? Das ist so gar nicht..." "Bete mit mir!", unterbrach sie ihn. Nun war es an Alasdair um eben inne zu halten und zu blinzeln. "Wie bitte?", fragte er verwundert. "BETE MIT MIR!" schrie sie in sein Gesicht, schwer atmend. Das hatte er von der Kleinen nicht erwartet, und nach einer kleinen Pause fragte er, etwas geschockt, "Wie macht man denn so etwas? Ich kenne deine Göttin doch gar nicht. Ich habe sie nie gesehen oder gehört, wie rede ich mit jemandem der für alle praktischen Zwecke für mich gar nicht existiert?"
Und sie erklärt, "Atme langsam ein und aus. Stell dir Chauntea einfach vor, als stünde sie vor dir. Es ist völlig egal wie sie für dich aussieht, aber bitte zieh ihr etwas an. Rede mit ihr, stell ihr Fragen, und wenn du magst, bitte sie dir zu helfen. Sie wird dir nicht direkt antworten, das ist normal. Du lernst mehr aus deinen eigenen Fragen als von Antworten." Alasdair dachte etwas nach und schloss schließlich die Augen. Er stellte sich Liadein vor, deutlich größer als sie eigentlich ist, in elegante blaue Seide gehüllt, und ein gleißendes Licht ging von ihr aus. Er hätte es nie zugegeben, aber die Vorstellung allein stimmte ihn ruhiger. Und er begann leise zu murmeln, unverständlich für Liadein und die Außenwelt. Er sprach und sprach, zusammengesackt vor dem Lagerfeuer, bis es noch leiser wurde und schließlich verstummte. Kurz danach setzte ein leises Schnarchen ein.
Gwenn schaute aus ihrem Zelt. "Nicht schlecht für's erste Mal?", sagte sie mit einem Grinsen im Gesicht zu Liadein. Die wiederum zuckte mit den Schultern und sagte, "Eh. Hätte schlechter gehen können. Aber nicht viel. Vielleicht probieren wir es morgen noch mal. Heute Nacht jedoch können wir alle etwas besser schlafen, ohne dass der Alte ständig redet. Ich übernehme seine Wache." Sie lächelte. "Gute Nacht, Gwenn!" "Gute Nacht, Liadein."