21-Debauchery
Die HUNTRESS ließ Arfk hinter sich. Doch noch bevor sie das von Eisschollen geprägte Nordmeer verlassen hatten, traf sie bereits wieder auf Oktopons. Die hatten auf Schollen einem Handelsschiff aufgelauert und es zum Kentern gebracht.
Nur zwei Überlebende stellten sich einer Übermacht aus Oktopon-Kriegern und einem Hexer. Mit einer Breitseite konnte die HUNTRESS den Oktopon-Magier in ekliges Glibberzeug verwandeln. Die in Arfk angeheuerten kieranischen Privateers hatten ihre Feuertaufe bestanden und die Oktopons flohen. Dex holte mit einem Kommando die Überlebenden an Bord: einen Masquanimatrosen und einen Kraken namens Cunobelinus. Der stellte sich als Feuermagier heraus.
Die weitere Fahrt nach Baltimus verlief ruhig. Beim abendlichen Saufgelage in einer Taverne wurde Janara von einem alten Mann ein Zettel zugesteckt. „Versalis“ stand darauf geschrieben. Nach vergeblichen Versuchen der besoffenen Crew den alten Mann, der sofort wieder verschwunden war, unauffällig zu folgen oder ihn zu kontaktieren, waren sie doch in der Lage den Alten in einer Seitenstraße abzupassen.
Unbemerkt belauschte Cunobelinus sie, während der Alte seine Geschichte erzählte: seine siebzehnjährige Tochter sei von Bruno Baltimus missbraucht worden und nun suche er jemanden, der dem Mächtigsten der Stadt die Kehle durchschneide.
Zum Schein ging Janara auf das Angebot ein und er händigte ihr dafür eine gefälschte Einladung zu einer Gala im Palast aus. Der Alte ließ nicht unerwähnt, dass auf eine solche Gala in der Regel eine Orgie folgte.
Janara war klar, dass sie zu dieser Gala wollte. Zwischen den Reichen und Mächtigen war ohnehin ihr Platz – davon war sie überzeugt. Und eine Orgie, die zumindest halbwegs an kieranische Maßstäbe heranreichte, konnten sie in Baltimus zwar nicht erwarten, sich aber zumindest erträumen.
Mit gefälschter Einladung bei Bruno Baltimus aufzutauchen, war aber unter Captain Jonovians Würde. Bevor sie sich aber eine offizielle Einladung erhalten wollte, suchte sich noch die Magiergilde auf. Dort stellte sie sich endlich den „Besitzern“ der HUNTRESS vor. Als das Schiff in ihre Hände geraten war, hatten sie ja Gribaa als Captain eingesetzt, während Janara im Kerker schmachtete. Die Obersten des Rates empfingen sie, erwiesen sich jedoch als inkompetent. Auf keine einzigen von Janaras Fragen wussten sie eine Antwort. Janara verabschiedete sich aufs höflichste. In der Bibliothek traf sie zufälligerweise Cunobelinus und Kylie Kirrow und lud beide als Begleitung zur Gala ein. In ihrem Kopf hatte sich bereits ein Plan geformt.
Die drei Tage bis zur Gala wurden hauptsächlich in Gegenwart eines Schneiders verbracht. Es wurde Maß für neue Anzüge genommen und selbst Gribaa, der sich zuerst nicht zwischen Anzug und Kleid entscheiden konnte, blieb im Endeffekt doch am männlichen Ufer. Die Einladung selbst war für Janara ohne Probleme zu erhalten. Ein kurzer Besuch bei Bruno Baltimus’ Untergebenen überzeugte die von Janaras Qualitäten.
Dann war der große Tag endlich da. Mit Gribaa, Dex, Cunobelinus, Sam Sandstorm und Kylie im Gefolge erschien Janara Jonovian beim Palast. Auch wenn Dex ein wenig Probleme hatte, eingelassen zu werden – wer traut schließlich einem Doreen – konnte Janara die Wachen im Endeffekt überzeugen. Drinnen hatte sich eine illustre Gesellschaft schon versammelt. Janara wurde bald zum Tanz aufgefordert und glänzte, so wie oft in ihrer Karriere. Alle Augen waren auf sie gerichtet. Auch jene von Bruno Baltimus. Tatsächlich entstand die Gelegenheit mit ihm einige Worte zu wechseln. Doch der interessierte sich eher für ihren Körper, denn für Seeabenteuer oder die Hexen. Dass sein Vater den Namen der drei sicher irgendwo aufgeschrieben hatte, davon war er überzeugt, aber wer wollte während einer Orgie schon in Büchern blättern?
Problematisch war zu dem, dass nur Janara und Kylie diskret zur Orgie eingeladen wurden. Die drei männlichen Wasserbewohner Gribaa, Dex und Cunobelinus waren dagegen nicht der große Bringer bei den Gastgebern. Gribaa etwa, der kurzzeitig eine reiche Grael-Frau zu beeindrucken wusste, wurde im Endeffekt doch abgelehnt. Und so musste Janara improvisieren und eine besondere Tanzeinlage versprechen. Ihre drei glibbrigen Crew-Mitglieder würden als „Captain Janaras Extraordinäre Menagerie“ daran beteiligt sein. Die Darbietung sollte den Todeskampf der Seehexen darstellen. Tatsächlich wurde die Gala bald geschlossen und die Teilnehmer des inoffiziellen zweiten Teils zogen sich in Gemächer des oberen Stockwerks zurück. Dort war die Sache mit der Tanzeinlage aber vergessen. Bruno Baltimus und seine Freunde wollten sich lieber gleich ungezügelteren Sinnesfreuden hingeben. Janara, die keine Laune verspürte, schon im Vorzimmer der Macht vernascht zu werden, kam nicht herum, Kylie der sabbernden Meute vorzustellen. Erst als sich herausstellte, dass die nicht vor Vergewaltigung zurückschrecken würden, versuchte sie die Aufmerksamkeit wieder auf sich zu richten. Tatsächlich gelang es ihr Bruno Baltimus davon zu überzeugen, dass er in der Abgeschiedenheit seines Schlafgemachs am meisten von ihr haben würde.
Cunobelinus konnte überhaupt nichts mit solchen Orgien anfangen und begann sich ein wenig umzusehen... dabei stieß er auf das ein und andere kleine Schätzchen und auf Sam der sich auch schon zu schaffen gemacht hat. Er suchte nach Informationen über die Seehexen. Kurzer Hand beschloss Cunobelinus ihm zu helfen. Im Zuge dessen stießen sie auch auf Janara die sich an Bruno rangeschmissen hatte, doch ließen die Magier sich davon nicht aufhalten und bei der weiteren Suche konnte Cunobelinus Sam ein wertvolles Magiebuch zum Geschenk machen.
Nachdem sich herausgestellt hatte, dass es schwer möglich sei, gleichzeitig Liebesspiel vorzutäuschen und nach den Aufzeichnungen des verstorbenen, alten Baltimus zu suchen – trotz aller Fesselspielchen – gab Janara Bruno eine Lektion in der kieranischen Vorstellung eines gesunden Liebeslebens und beförderte ihn mit einem Faustschlag in die Bewusstlosigkeit. Sam Sandstorm und Cunobelinus vermochten in der Zwischenzeit die Wachen mit dem Bluff ein Magierpärchen vom anderen Ufer zu sein, zum Wegschauen zu bewegen. Wäre Janara nicht doch noch weich geworden, nachdem sie Bruno Baltimus bewusstlos im Bett liegen sah – er wirkt so süß – sie hätte den beiden vielleicht behilflich sein können. So mussten die Magier allein an die Notizen mit den Namen der Seehexen zu kommen, während auch Gribaa und Dex einfach nur die Vorteile des dekadenten Lebens zu schätzen lernten.
Während die vier männlichen Crewmitglieder noch in der Nacht verschwanden, blieb Janara bis am Morgen bei Baltimus. Anstatt eines Frühstücks servierte sie ihm jedoch die Wahrheit über jenen Verschwörer, der Brunos Tod gefordert hatte. Tatsächlich konnte Bruno Baltimus Namen und Villa des alten Manns liefern. Es handelte sich um Mani Morkam. Seine Tochter Morri war leichtgläubig der Einladung zu einer der Orgien gefolgt. Janara erklärte, dass sie den Verschwörer die gerechte Strafe bringen würde – gegen ein entsprechendes Kopfgeld und der Erlaubnis das Schwert Versalis zu behalten. Baltimus willigte ein, und mit dem Wissen einen der mächtigsten Männer Caribdus eine ‚Bekanntschaft’ aufgebaut zu haben, kehrte sie zur HUNTRESS zurück.
Die Stammbesatzung war von Janaras Plan jedoch alles andere als begeistert. Mit dem Bewusstsein Seeleute anstatt Winkeladvokaten vor sich zu haben, brach die Kapitänin schließlich trotzig und nur mit der Unterstützung des treuen Gribbas zur Villa auf. Der Feuermagier Cunobelinus folgte ihnen jedoch heimlich.
Bei der Villa angekommen, forderte Janara Einlass, stotterte aber wenig überzeugende Widersprüchlichkeiten hervor, als wäre sie selbst nicht mehr von der Gerechtigkeit ihres Vorgehens überzeugt. Als Morkams Tochter schließlich mit Versalis in der Hand auftauchte, war Janara erst recht eingeschüchtert. Ihre Maneater-Axt würde das junge, blasse Mädchen kaum schmerzlos von ihrem elendigen Schicksal befreien – gegen Frauen war die Waffe deutlich weniger wirkungsvoll – und Morri stand ihr mit einer der tödlichsten Waffen von Caribdus gegenüber. Anstatt Gribaa einen klaren Angriffsbefehl zu geben, versuchte sie dem Mädchen das Schwert zu entreißen. Von den Hilferufen wurde ein Mob angelockt, der versuchte den Mitbürgern zur Seite zu stehen. Während Versalis zu Boden bolterte, warfen sich der Mob auf Janara und Gribaa. Cunobelinus versuchte aus seinem versteckt zur Ablenkung ein Haus anzustecken. Doch der die aufgebrachte Menge kümmerte sich kaum darum. Als sich die beiden ranghöchsten Besatzungsmitglieder der HUNTRESS endlich frei gerungen hatten, stand das Haus lichterloh in Flammen und schreckliche Schreie drangen heraus. Janara Jonovian, Gribaa und Cunobelinus blieb nichts anderes übrig als im Getümmel möglichst schnell zurück zum Hafen zu fliehen.
Janara fluchte im Nachhinein, dass sie den Morkams nicht einfach erzählt hatte, dass sie verraten worden waren, und nur an Bord der HUNTRESS in Sicherheit wären. Aber nun war es zu spät für einen besseren Plan. So schnell wie möglich verließ das Schiff den Hafen, in dem geschäftiges Treiben herrschte. Duckworth stellte nämlich gerade eine Flotte gegen die Piratenhochburg Brigandy Bay auf. Janara war trotzdem sicher, dass sie irgendwann Versalis noch in Händen halten würde und dass ihre Weichheit wieder einmal die Rettung aller Bewohner Caribdus gefährdet hatte. Würde sie irgendwann dazu fähig sein ein junges Mädchen zu töten, um alle anderen zu retten?